Welche Rolle spielen anishaltige Drinks aktuell an der Bar?
„Durch den Siegeszug des Gins erhielten Gewürze und Kräuter allgemein eine neue, besondere Stellung. Neben Wacholderbeeren basieren die einzelnen Gin-Sorten ja auf einer Vielzahl von Botanicals, die sie letztlich auszeichnen. Dazu zählen Koriandersamen oder Angelikawurzel genauso wie Anis. In der letzten Woche habe ich beispielsweise eine Destillerie in Belgrad besucht, die einen unfiltrierten Gin mit Anis als prägender Zutat herstellt. Er trübt sich wie Pastis ein, wenn Tonic oder Wasser hinzukommen. Ein schöner Effekt – und ein Alleinstellungsmerkmal für einen Gin.“
Sie sprechen den so genannten Louche-Effekt an. Was hat es damit auf sich?
„Anethol, das ätherische Gewürzöl, das den Anissamen ihren lakritzartigen Geschmack verleiht, ist nur in Alkohol löslich, nicht in Wasser. Wird ein Ouzo oder Raki verdünnt, dann erhält er seine typisch milchige Farbe. Das geschieht übrigens auch, wenn Kälte – etwa in Form von Eiswürfeln – hinzukommt.“
Unter den Nationalgetränken finden sich erstaunlich viele anishaltige Spirituosen. Ich denke an den französischen Pastis, den türkischen Raki, den griechischen Ouzo oder auch den arabische Arak. Haben Sie dafür eine Erklärung?
„In mediterranen Ländern ist das Anisaroma tatsächlich sehr beliebt. Ich denke, das hängt mit der Wärme zusammen, Anethol besitzt einen kühlenden, erfrischenden
Effekt. Außerdem sorgt es für Appetit, das macht einen Raki oder Ouzo zum perfekten Aperitif.“
Neben den harten, alkoholreichen Drinks gibt es ja auch noch die Anisées, die Liköre auf Anisbasis. In Spanien den Anisado oder in Frankreich den Anisette.
„Und nicht zu vergessen: in Italien den Sambuca. Er ist an der Bar nach wie vor ein Dauerbrenner. Das Trinkritual – mit Kaffeebohne und Anzünden – mögen viele und die Kombination aus Bitternoten und lakritzartiger Süße macht Spaß. Wir haben dem Ganzen ein bisschen mehr Klasse gegeben und daraus einen Espresso-Martini mit Sambuca entwickelt. Ein wirklich schöner Drink.“
Bei welchen Rezepturen setzen Sie noch auf Anis-Aromen?
„Etwa beim Sazerac, einem Bar-Klassiker. Sein Glas wird mit einem Hauch Absinth aviniert, also befeuchtet. Auch ein Ritual.“
Ganz unabhängig von Anis, welche Rolle spielen Gewürze und Kräuter speziell an Ihrer Bar?
„Eine große! Sie befeuern das kreative Potenzial und den Erfindungsreichtum aller Mixologen. Frische Minze und Basilikum gehören zum Standard, aber auch – wieder im Fahrwasser des Gins – Thymian und Rosmarin. Ich finde es auch interessant, mit Estragon oder Korianderkraut zu experimentieren. Denn Kräuter schmecken nicht nur, sie duften ja auch und steigen beim Trinken in die Nase.“
Und welche Gewürze verwenden Sie?
„Zimt und Muskatnuss, beispielsweise. Eine Prise Muskat gehört für mich auf jeden Planter’s Punch, ein Cocktail, der auf Rum und Fruchtsäften basiert. Ich schreibe den Gewürzen und Kräutern, die in meinen Drinks auftauchen, übrigens eine besonders Wirkung zu: Sie sorgen an der Bar, auch wenn sich das jetzt etwas seltsam anhören mag, für einen entspannten Rausch. Ganz anders als Wodka on the rocks.“
Matthias Knorr, Bar-Meister und Hotelfachmann, gründete vor 20 Jahren die Barschule München. Gastronomen, aber auch Laien, können sich von ihm zum Bar-Mixer ausbilden lassen – bei entsprechender Vorbildung sogar mit IHK-Zertifikat. Knorr hält selbst mehrere Guinness-Weltrekorde, für die er beispielsweise 42 verschiedene Cocktails in einer Minute mixte.
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