Fangen wir ganz vorne an: Aus welchem Grund schützt die EU die Herkunftsbezeichnung von Lebensmitteln?
„Das lässt sich am besten an einem Beispiel erklären: Wenn ein deutscher Fleischproduzent auf die Verpackung seines gewöhnlichen Schinkens die italienische Fahne druckt, dazu den Schiefen Turm von Pisa, darunter einen italienischen Schriftzug setzt und das Wort ‚Prosciutto‘ betont, dann suggeriert er ein spezielles, vermutlich hochpreisiges Produkt, eine besondere Herstellung, einen gewissen Geschmack und vor allem eine bestimmte geografische Herkunft, die das Produkt tatsächlich nicht hat. Genau dies will die EU vermeiden. Zudem will sie traditionell gewachsene Produkte und ihre Bezeichnungen vor Missbrauch bewahren. So ist beispielsweise der ‚Prosciutto di Parma‘, der regional typische Parmaschinken, als geografische Ursprungsbezeichnung seitens der EU geschützt – und alle Namensähnlichkeiten auch. Wesentlich dabei sind das Ursprungsland oder der Herkunftsort.“
Wie unterscheiden sich nun schützenswerte Herkunftsangaben von Gattungsbezeichnungen, die ja eher allgemeingültig sind?
„Dazu habe ich ein Beispiel aus der Welt der Gewürze: die Kräuter der Provence. Die Idee, dass es sich hier um eine Herkunftsangabe ganz im Sinne des EU-Rechts handeln könnte, liegt nahe. In diesem Falle müssten sämtliche Zutaten in der Provence angebaut, geerntet, gesichtet und auch veredelt werden. Tatsächlich gehören die Kräuter der Provence aber zu den Gattungsbezeichnungen. Der Verbraucher erwartet hier ein gewisses Geschmacksprofil, mehr nicht. Gleiches gilt für Bezeichnungen wie Alpenkräuter, Tex-Mex-, Asia- oder China-Würzungen. Zum Glück für uns, denn so dürfen all diese Mischungen allerorts produziert werden.“
Für welche Gewürze würde dies nicht gelten?
„Beispielsweise für den Kampot-Pfeffer, der aus Kambodscha stammt. Er besitzt eine geschützte geografische Herkunftsangabe entsprechend dem EU-Recht. Ein aktuelles Beispiel aus diesem Jahr bietet zudem der Thym de Provence. Aus Frankreich gab es den Vorstoß, den provenzalischen Thymian schützen zu lassen. Was auch gelang! Allerdings nur mit der wichtigen Einschränkung, dass Herbes de Provence, also die besagten Kräuter der Provence, davon unberührt bleiben. Hierfür setzte sich der Fachverband der Gewürzindustrie ein, denn die Schutzrechte umfassen gewöhnlich nicht nur Übersetzungen, sondern auch sämtliche Namensähnlichkeiten. Nicht unwesentlich im Falle von Thym de Provence und Herbes de Provence.“
Nun gibt es seitens der EU eine Gesetzesinitiative, die das Thema Herkunftskennzeichnung ausweiten und für Hersteller verpflichtend werden lassen will. Was hat es damit auf sich?
„Zunächst einmal kann jeder Hersteller freiwillige Herkunftskennzeichnungen machen, heute wie auch in Zukunft. Verpflichtend im EU-Sinne werden sie möglicherweise dann, wenn ein Erzeugnis aus nur einem Grundstoff besteht, etwa ein Monogewürz wie Paprika, oder wenn eine Zutat über 50 Prozent eines Lebensmittels ausmacht, wie es bei Gewürzmischungen der Fall sein könnte. Für Gewürzproduzenten könnte eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung tatsächlich problematisch werden. Etwa dann, wenn sich Verfügbarkeiten ändern, die Ernte in einem Herkunftsland ausfällt, die Dosen und Behälter aber schon fertig etikettiert sind.“
Wie ist hierzu der Stand der Dinge?
„Bevor die Europäische Kommission wichtige Gesetzesinitiativen angeht, führt sie eine Folgenabschätzung durch. Diese ist im Wesentlichen abgeschlossen. Meinem Eindruck nach steht die Kommission der angedachten Ausweitung derzeit kritisch gegenüber. Die Gründe dafür liegen in der Komplexität globaler Warenströme und der zu erwartenden Kostensteigerungen. Noch aber gärt das Thema Herkunftskennzeichnung. Insbesondere das Europäische Parlament sieht weiteren Klärungsbedarf, denn Verbraucher, das zeigen Befragungen, wünschen hier mehr Informationen.“
Seit 2019 ist Dr. Markus Weck neuer Hauptgeschäftsführer des Fachverbands der Gewürzindustrie e.V. Damit löste er Dirk Radermacher ab, der dem Verband über 25 Jahre vorstand und seit 2004 mit Weck zusammenarbeitet. Dieser heuerte seinerzeit als Referent für Lebensmittelrecht beim Bonner Verbändebüro an. Der 43-jährige Jurist ist verheiratet, Vater zweier Jungs und lebt in Brühl nahe Bonn.
In aller Kürze: Begriffsklärung
Bei Speisen und Getränken spielt die „Adresse“ eine wichtige Rolle. Viele Lebensmittel tragen eine Stadt oder eine Region im Namen, sie verspricht eine besondere Herstellungsweise, Rezeptur oder Qualität. Die auf der Verpackung aufgedruckte Herkunftsbezeichnung hilft dem Verbraucher, Waren zu unterscheiden und auszuwählen. Neben dieser für den Einkauf durchaus relevanten Information besitzen Herkunftsbezeichnungen eine wirtschaftliche Bedeutung, gelten sie doch als Alleinstellungsmerkmal. Viele Biermarken – vom kühlen norddeutschen Jever bis zum zünftigen süddeutschen Erdinger – sprechen beispielsweise die deutliche Sprache ihrer Heimatstädte. Andere Herkunftsbezeichnungen haben es gar bis zur allgemeingültigen Gattungsbezeichnung gebracht. Man denke nur, um beim Beispiel Bier zu bleiben, an das Pils. Einst nach der böhmischen Stadt Pilsen benannt, steht es für eine Brauart, nach der die meisten Biere deutschlandweit hergestellt und vermarktet werden.
Im Lichte der EU, die seit 1992 auserlesene Herkunftsbezeichnungen vor Missbrauch schützen möchte, erstrahlen das Lübecker Marzipan, die Nürnberger Bratwurst und das Kölsch der Kölner in einem ganz eigenen Glanz: Sie sind Lebensmittel mit geschützter geografischer Angabe (g. g. A.) oder sie besitzen eine geschützte Ursprungsbezeichnung (g. U.) nach EU-Recht. Um diesen Schutzstatus zu erlangen, bedarf es im Einzelfall eines aufwendigen Antragsverfahrens, das sich über mehrere Jahre erstreckt. In dieser Zeit gilt es, zu klären, ob es sich im jeweiligen Einzelfall um eine Herkunftsbezeichnung im EU-Sinne handelt oder etwa um eine Gattungsbezeichnung, die nicht geschützt werden kann. Der Spielraum für Interpretationen ist dabei groß. Davon erzählen die Thüringer Rostbratwurst ebenso wie der Schwarzwälder Schinken. Sie gehören beide in den geschützten EU-Club. Ganz anders das Frankfurter Würstchen. Es musste bislang draußen bleiben. Zum Trost: die Münchner Weißwurst auch.
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